Tikal - Wenn der Dschungel erwacht
Vier Uhr. Es ist stockfinster, als der
Wecker klingelt. Im Dunkeln tasten die Hände nach Kleidern und Taschenlampe.
Elektrisches Licht gibt es zu dieser frühen Stunde nicht im Tikal-Nationalpark,
im größten Naturschutzgebiet Gutemalas. Die wenigen Touristen,
die hier Quartier beziehen, müssen sich nach der Natur richten. Aber
gerade deswegen sind sie da, streifen die klammen T-Shirts - 90 Prozent
beträgt die Luftfeuchtigkeit inmitten des Tropenwaldes - über
den Kopf und marschieren Richtung Ausgrabungsstätten. Aus allen Richtungen
kommen kleine Grüppchen aus Zelten und Bungalows der kleinen Siedlung.
Ihr gemeinsames Ziel: Tempel IV, die größte und höchste
Pyramide in den weitläufigen Anlagen der einstigen Mayastätte,
die den eindrucksvollsten Sonnenaufgang über dem Dschungel verspricht.
Umhüllt von einer süßlichen Wolke aus Mückenmitteln
setzt sich die kleine Karawane in Bewegung. Gewaltig erheben sich die
Urwaldriesen zu beiden Seiten des schmalen Pfades. Rascheln im Unterholz.
Ein Jaguar? Um das Tier genau erkennen zu können, ist es viel zu
dunkel, doch es ist klein und das beruhigt auch die Ängstlichen.
Eine halbe Stunde dauert der morgendliche Marsch. Dann geht es eine Menge
steiler Stufen hinauf über die Baumkronen. 64 Meter hoch ist Tempel
IV, die höchste der noch existierenden Anlagen des antiken Altamerika
zu deren Füßen sich langsam die ersten Konturen abzeichnen.
Ein vorwitziger Nasenbär streift schnuppernd um die Frühaufsteher
und schnappt sich blitzschnell eine Kekstüte aus einem unbewachten
Rucksack. Während er sich zufrieden mit seiner Beute trollt, macht
sich unter den Menschen Ernüchterung breit: Nieseln, Nebel, kein
Sonnenaufgang. Doch die Geräusche des erwachenden Urwaldes sind beeindruckend
genug: Gezwitscher, Affen-Gebrüll und gespenstische Stimmung zwischen
den Ruinen der 2500 Jahre alten, von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärten
Ansiedlung der Maya, durch die man tagelang wandern kann und doch immer
wieder Neues entdeckt. Allein das Kerngebiet der Ausgrabungen erstreckt
sich über 16 Quadratkilometer und umfasst mehr als 4000 einzelne
Bauwerke.
Ungewohnt ist nach so viel Ruhe das geschäftige Treiben in Flores.
Bis zu ihrem Fall 1697 hieß es Taysal und war die letzte Hauptstadt
der Mayas. Heute ist Flores die Kapitale der Provinz Petén und
liegt seit dem 19. Jahrhundert vom Petén-Itzá-See umschlossen
auf einer Insel. Die Badeplätze vor fast allen Häusern sind
eine trügerische Idylle, denn mit seinem ständig steigenden
Wasserspiegel bedroht der See die hübsche Stadt mit ihren bunten
Häusern und der alles überragenden Kathedrale. "Hoffentlich
kommt bald der Kanal", erzählen die beiden Frauen im winzigen
Tante-Emma-Laden mit dem bombastischen Sortiment. Im Moment haben sie
andere Probleme: Stromausfall nach einem heftigen tropischen Gewitter,
das die Rundstraße kurzzeitig in einen kleinen Fluss verwandelte
und die Leute in die Häuser treibt. Während man anderswo sehnsüchtig
auf den Strom wartet, ist die Bar "La Luna" auf solche Pannen
vorbereitet. Stimmungsvoll im Kerzenschein genießen die Gäste,
was der Koch auf seinem Gasherd zubereitet: dampfende Fischsuppe, käsetriefende
Nachos und Huhn in allen Variationen. Untermalt von Musik aus dem Transistorradio.
In Natura ist die Marimba, das typische Instrument Guatemalas, eine Art
Riesen-Xylophon mit hölzerner Tastatur. Bis zu neun Musiker spielen
gleichzeitig daran. Ihren besonderen Klang im Ohr geht es über schnurgerade
Sandpisten, vorbei an Fußballplätzen auf denen Pferde grasen
und weißen Kühen, die bis zum Bauch in lehmig-rotem Wasser
stehen zum Rio Usumacinta, dem Grenzfluss zu Mexiko. In kleinen, einbaumähnlichen
Booten geht es nach Yaxchilan, einer der Ruinenstädte, in denen man
die Besucher noch an den Händen abzählen kann. Mindestens so
eindrucksvoll wie die ausgesprochen gut erhaltenen und besonders phantasievollen
Stelen ist die Fahrt zur Flussschleife, auf der auf Terrassen die Monumente
aus der Zeit vom 6. bis 9. Jahrhundert stehen. Während die Fährleute
die Boote geschickt an Stromschnellen vorbei lenken, springen lachende
Buben von überhängenden Ästen ins Wasser, erledigen Frauen
ihren Großwasch und kommen durstige Pferde zur Tränke.
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