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Nicaragua

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"Jacotes! Jacotes!" Wie ein offizielles Empfangskomitee stehen die Frauen mit ihren blütenweißen Spitzenschürzen an der Schiffsanlegestelle und offerieren große Schüsseln voll goldgelber Früchte. Eine trägt ein Silbertablett mit kunstvoll aufgetürmten Tortillas auf dem Kopf. Aber die Geschäfte gehen schlecht, denn flink haben sich die spitzbübischen Buben an den Frauen vorbeigedrängelt und verkaufen den Touristen für ein paar Cordobas ihre Jacotes. Pflaumengroße Früchte, die nach Apfel und Stachelbeere schmecken und hier im Überfluß wachsen. Aber das tut auf Omotepe, der größten von mehr als 350 Inseln im Nicaraguasee, ohnehin fast alles.
Baumwolle, Tabak, Gemüse und vor allem Bananen gedeihen auf den fruchtbaren Vulkanböden der "Insel mit den zwei Bergen". Einer dieser Berge ist der erloschene Vulkan Madera, der andere der noch immer aktive Concepción, der konditionsstarke Wanderer bei gutem Wetter mit einem sagenhaften Ausblick auf Pazifik und Karibisches Meer belohnt. "Fünf Stunden dauert der Aufstieg von Cuatro Cuadros", erzählt Raimundo, dessen Familie, wie fast alle der 25000 Inselbewohner, mit einer kleinen Landwirtschaft ihren Lebensunterhalt verdient. Irgendwann wollen sie auch ein paar Fremdenzimmer vermieten, erzählt der junge Mann, während er medizinballgroße Wassermelonen auf die Ladefläche eines Pickup stapelt. Auch wenn die Insel-Bauern schon jetzt ein relativ sicheres Einkommen haben, sehen auch sie die Zukunft ihres lange Jahre krisengeschüttelten Landes im Tourismus. "Wir wollen keinen Krieg mehr" erklärt Raimundo nachdenklich-bestimmt. Nach 50 Jahren Somoza-Diktatur, die 1979 mit dem Sturz des Diktators endete, und einem Jahrzehnt des Contra-Krieges gegen die sandinistische Regierung will die Bevölkerung nur eins: In Frieden leben. Zum finanziellen Aufschwung soll der Tourismus beitragen. Der Staat fördert jedes Engagement mit Steuervergünstigungen über Jahre hinweg. Bei den Studenten der Universität Managua ist Tourismus ein gefragtes Fach.
"Es ist ja auch schön bei uns", betont Raimundo voll Stolz auf sein Land und deutet zum Beweis hinter sich. Kitschig-schön reckt sich eine Gruppe von Palmen dem tiefblauen Himmel entgegen. Im Hintergrund der bewaldete Kegel des Concepción, den die typische Nebelwolke krönt.
Direkt aus dem Bilderbuch scheint auch die Fähre entsprungen zu sein, die Omotepe mit dem Uferstädtchen San Jorge verbindet. Eine hölzerne blaue Nußschale mit sauberen weißen Rändern um sämtliche Bullaugen, die sich alles andere als magenfreundlich in den Wellen wiegt. Am schlimmsten erwischt es Raimundo, der aschfahl auf einer Holzbank sitzt und der komfortableren Alternative per Tragflächenboot nachtrauert. Ab und zu spritzt Gischt durch die glaslosen Fenster. Die amerikanischen Studenten, die eifrig damit beschäftigt sind, ihre schwer bepackten Mountainbikes vor dem Umfallen zu bewahren, unterhalten sich über Haie. Nicht von ungefähr, denn der "Gran Lago", oder in Indianersprache "Cocibolca" (Süßwassermeer), ist weltweit der einzige See mit Haien. Über den Rio San Juan kamen sie einst, zusammen mit etlichen anderen Meeresfischen, aus der Karibik in den 8,5 Quadratkilometer großen See. Am Billetschalter in San Jorge gibt es nicht nur Karten für die Schiffspassage nach Omotepe. Neben vergilbten Postkarten und einem Poster mit schneebedeckten Bergen hängt hier ein Sortiment säuberlich beschrifteter Haifischgebisse.
Auf dem Parkplatz Dutzende amerikanischer Schulbusse. Abschreibungsobjekte aus den USA, die in Nicaragua ebenso gute Dienste leisten, wie die ausgemusterten Feuerwehr- und Notarztwagen aus Hamburg. Mit Akribie und Fantasie haben viele Chauffeure ihre Wägen besonders ausstaffiert. Poster amerikanischer Basketballstars, Heiligenbilder oder die Wimpel der beliebtesten Baseballteams machen aus den Omnibus-Methusalems rollende Kunstwerke. Und so schaukelt man, zugegebenermaßen bisweilen etwas beengt, zwischen fröhlich schnatternden Einheimischen in jedes noch so kleine Dorf.
Dörfer läßt Raimundo bei seinem Besichtigungsprogramm allerdings links liegen. Sein Ziel ist Granada, die Kolonialstadt am Nordufer des Nicaraguasees, die zu den ältesten Zentralamerikas zählt. Seit ihrer Gründung im Jahre 1524 ein bedeutendes Handelszentrum, strahlt Granada eine besondere Eleganz aus. Das mag daran liegen, dass im Zentrum glänzend schwarz lackierte Pferdekutschen das Fortbewegungsmittel Nummer eins sind. Dazu die Häuser mit ihren tiefen Veranden, auf denen alte Männer in hellen Anzügen im Schaukelstuhl Siesta halten. Vor der schneeweißen Kathedrale im Parque Central spielen die Kinder zwischen Palmen, Springbrunnen, Schuhputzern und Eisverkäufern Fußball.
Hier kann man´s aushalten schmunzelt Pietro Paolo Magnani. Vor ein paar Jahren ist er mit seiner Frau und den hochbetagten Müttern von Rimini hierher gekommen. "Ich hatte den Trubel in Italien satt" begründet er seinen ungewöhnlichen Entschluß, während er Chianti in die Gläser gießt. Die Weinimporte sind seine einzige Verbindung in die alte Heimat und neben der vorzüglichen Pasta einer der Gründe, warum sein Restaurant "Il Portico" mit Blick auf die Kathedrale stets gut besucht ist.
Während Magnani längst wieder mit seinen Töpfen hantiert, taucht die Abendsonne die Isletas in warmes Licht. Unzählige dieser Inselchen gibt es vor der Halbinsel Asese, drei Kilometer von Granada entfernt. Manche sind kaum größer als die Palme, die auf ihnen steht. Andere sind bewohnt oder sogar bewirtschaftet, wie Nasate oder Coyolito. Die Festung auf der Isleta San Pablo schützte einst Granada vor Angriffen. Heute ist sie ein beliebtes Ausflugsziel, wie die Isla El Morro mit ihrem Freizeitpark.
Samstags legt hier auch die Fähre zum "Archipiélago de Solentiname" ab. Die 36 exotischen Inselchen am Südende des Sees sind eine Künstlerkolonie, in der Malerei und Holzschnitzerei in der Tradition der Indigenas mit sanftem Tourismus verknüpft werden. Entstanden aus der Kooperative, die der international renommierte Ernesto Cardenal 1967 auf der Isla de Moncarrón zur Verbindung von Arbeit und Kunst gegründet hatte.

 
 
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