Elfen, Trolle, MTV
Merke: Aussagen von Isländern, die Reisegarderobe betreffend, sind
mit Vorsicht zu genießen. "Sommerlich leger" hat Heidur
empfohlen, am Ärmel ihrer Kurzarmbluse gezupft und betont, dass der
Sommer recht warm sei. Was sie verschwiegen hat: Ihre Landsleute tragen
zwar kurzen Arm in den langen, hellen Sommertagen auf der Insel aus Feuer
und Eis. Die gängigen Accessoires sind aber Wollmützen und Strickhandschuhe.
Selbst bei den Einheimischen, die Wärme etwas großzügiger
definieren, als wir.
Doch selbst wenn man weniger gutgläubig war und nicht ohnehin sicherheitshalber
einen Sweater mehr eingepackt hat, gibt es Alternativen zum Frösteln.
Wunderschöne Islandpullis etwa, aus der cremeweißen Wolle der
Schafe, die hier überall am Straßenrand weiden und Autofahrer
zu besonderer Aufmerksamkeit zwingen. Oder man legt sich kurzerhand in
eine Wiese, atmet den Duft von wildem Thymian ein und spürt, welche
Wärme der Boden der Vulkaninsel ausstrahlt. In ihrem Bauch brodelt
und kocht die 103.000 km² große Nordatlantik-Insel und heiße
Quellen durchziehen sie wie eine Fußbodenheizung. Die dritte Möglichkeit
wäre ein Bad. Entweder im Schwimmbad in einem der kreisrunden Whirlpools,
die der Volksmund "heiße Pötte" nennt und wo die
Isländer nicht nur baden, sondern auch Politik und Geschäfte
machen. Oder in heißen Bächen, Thermalseen wie dem Öskjuvatn,
wo das Wasser noch immer vom Ausbruch des Caldera Víti von 1875
angenehm temperiert ist oder dem aquamarinblauen Wasser der Blauen Lagune
in der bizarren Mondlandschaft von Grindavík, wo geheimnisvoll
die Nebelschwaden um die Badegäste wabern.
Auch im 21. Jahrhundert, wo selbst die entlegensten Ecken der Insel längst
am World Wide Web hängen und die Teenager aussehen, als wären
sie aus einem der überall flimmernden Fernsehgeräte direkt aus
einer MTV-Sendung entstiegen, hat Island etwas Magisches an sich. Der
warme Boden, der Schwefelgeruch in der Luft und das permanente Zischen
an den Überdruckventilen der Warmwasserrohre, die das Land wie rote
Fäden durchziehen und 80 Prozent der Bevölkerung mit umweltfreundlicher
Heizenergie versorgen. Ganz zu schweigen von so spektakulären Ereignissen
wie den Geysiren, die regelmäßig Fontänen aus Dampf und
Wasser bis zu zwanzig Meter hoch in den Himmel schleudern.
Gewiss haben Geologen allerhand logische Erklärungen für diese
Begebenheiten. Aber könnten nicht doch Elfen und Trolle dafür
verantwortlich sein, dass im Eiland am nördlichen Polarkreis vieles
anders ist, als anderswo. Wer in einer taghellen Nächte um Mittsommer
durch's schlafende Reykjavik mit seinen farbigen Spielzeughäuschen
und der überwältigenden, an einen Eisberg erinnernden Hallgrímskirche
schlendert, wird ihre Nähe spüren. Draußen in der Natur
ohnehin, wo sich nicht der Nebel über die grasgedeckten Fischerhäuschen
legt, sondern eine verzauberte Königstochter menschliche Gesellschaft
sucht. Wo die Elfen in Eishöhlen verirrten Wanderern Kaffee kochen
und am fischreichen Mývatn habgierige Nachttrolle zu Lava erstarrten,
als sie den Fischern im Morgengrauen ihren Fang aus den Netzen klauen
wollten.
Mögen ihre Gäste aus aller Welt noch so ungläubig die Köpfe
schütteln. Die Isländer schätzen und Ehren ihre Naturgeister,
bauen Straßen im weiten Bogen um deren Lebensraum und versehen schon
einmal einen scheinbar unscheinbaren Hügel mit einer Hausnummer,
wenn sie sicher sind, dass darin Elfen wohnen. Wo diese Orte sind, weiß
jedes Kind und versteht doch nicht, warum die Fremden so ein Aufhebens
um diese ganz normale Sache machen.
Ihre Konzentration gilt da wichtigeren Dingen. Das Lachsfischen gehört
zweifellos dazu. Im Juni beginnt die Saison und sobald Reykjaviks Bürgermeister
den ersten Fisch an der Angel zappeln hat, dürfen auch alle anderen
Petrijünger in den sauberen Flüssen des Anglerparadieses Island
versuchen. Vorausgesetzt, sie haben eine der begehrten Fischkarten ergattert,
die man lang im voraus buchen sollte. Eine andere große Leidenschaft
ist der Sport. "Wir sind alle Sportverrückt", lacht Asgeir,
der in München studiert und während der Ferien mit viel Engagement
und Leidenschaft Gästen sein Heimatland näher bringt. Urlauber
profitieren vom Sportspleen der Isländer. Vor allem Golfer, die an
den langen Sommertagen bis in die frühen Morgenstunden die Plätze
frequentieren. Mountainbiker brauchen auf den vielfach ungeteerten Straßen
robustes Material und wetterfeste Kleidung für die Regentage, die
selbst im Hochsommer dazu gehören. Doch wer auf dem Drahtesel zwischen
Kraterkegeln und Wasserfällen, schwarzer Vulkanküste und giftgrünen
Wiesen unterwegs ist, dem ist die Sympathie der Insulaner so sicher wie
einzigartige Erlebnisse und viel Respekt vor der Natur, die so viel gewaltiger
ist, als der durchtrainierteste Radfahrer.
Zu den gewaltigsten Erlebnissen gehört sicher der Vatnajökull,
Europas größte Gletscherkappe, die man sogar vom Mond aus sehen
kann, und auf deren 8400 km² locker sämtliche Alpengletscher
zusammen passen würden. Dick ist die Eisschicht, und von einem feinen
Aschefilm überzogen, als hätte ein Riese Pfeffer darüber
verstreut. Unmittelbar neben der gewaltigen Gletscherzunge saftige Wiesen
mit grellbunten Tupfern winziger Blüten und der Boden so warm, dass
man sich am liebsten flach ausstreckt, die Wärme in sich aufsaugt
und ganz nah die Trolle und Geister Islands spürt.
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