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Hurtigruten

Zwischen Stockfisch und Nordlicht


Achtung, Kopf einziehen! Eng und duster ist es in der Kabine. Vier Kojen schlichten sich auf kleinstem Raum, den ein einziges Bullauge kaum erhellt. Es riecht nach Maschinenöl. Bloß raus hier! In dem Fall kein Problem, denn die alte MS "Finnmarken" befindet sich nicht auf See. Aufgebockt und an ein gläsernes Gebäude angedockt, steht sie im Hafen von Stokmarknes und erinnert als größtes Exponat im Hurtigruten-Museum an die mehr als hundertjährige Geschichte der norwegischen Postschifflinie.
Schiffahrtsbegeisterte Puristen haben es nicht so eilig, schlendern voll Wehmut durch die schmalen Gänge. Träumen von den guten alten Zeiten, als eine Fahrt mit dem Postschiff noch etwas archaisches an sich hatte. Wenig Komfort und Bequemlichkeit, dafür eine intensive Verbindung zum Schiff, dessen pulsieren des Maschinengedröhn überall zu hören und zu fühlen war. Doch die meisten sind froh, dass auf sie nebenan im Hafen ein neuer, moderner Schnelldampfer wartet, auf dem die von Kennern als "schönste Seereise der Welt" postu-lierte Tour entlang der norwegischen Küste nicht nur landschaftlich zu einem beeindruckenden Erlebnis wird. Mit Aussichtslounge und Swimmingpool reist man dann recht komfortabel von Norwegens heimlicher Hauptstadt Bergen im Süden bis jenseits von Polarkreis und Nordkap nach Kirkenes, dem letzten Ort vor der russischen Grenze. Und doch ist es alles andere als eine Luxuskreuzfahrt, denn auch in Zeiten von Luftpost und E-Mail erfüllt die traditionelle Postschifflinie eine wichtige Funktion für Transport und Verkehr.
Gewiss, Briefe werden heutzutage auf schnellerem Weg befördert. Aber es gibt so viel anderes, was per Linienschiff transportiert wird: Ersatzteile für Schiffe, Gartenplatten, Paletten voller Getränke oder Fisch. In jedem der mehr als 30 Häfen auf der rund 1250 Seelmeilen langen Strecke beobachten die Passagiere aufs Neue fasziniert, was ein- und ausgeladen wird. Umgekehrt ist für die Küstenbewohner die tägliche Ankunft der Hurtigrute ein besonderes Ereignis. In Sandnessjøen etwa, wo zwei Frauen noch eilig selbstgestrickte Socken und Handschuhe mit den berühmten Norwegermustern auf Klapptischen drapieren, als die südlich gehende "Kong Harald" mit potentiellen Kunden in den Hafen einfährt. Oder auf den Lofoten, wo drei Teenager zu heißen Rhythmen aus einem riesigen Ghettoblaster tanzen und artig danken, wenn die Passagiere auf Landgang ein paar Kronen in ihren Hut werfen.
In Rørvik umringen alle eine Dame, die am Kai steht und mit einem Täfelchen auf ihr Museum aufmerksam macht. Im warmen Abendlicht spazieren sie zum "Kystmuseet", dem Küstenmuseum, des Bilderbuchortes auf der Inselgruppe Vikna. Ein schmuckes Schatzkästchen mit einem Kramerladen aus dem 19. Jahrhundert, der auch zur kulinarischen Reise in die Vergangenheit einlädt: Pfefferminzpastillen in großen Gläsern, tiefschwarze Lakritz, kleine Tütchen mit Stockfisch, dem berühmten getrockneten Dorsch von den Lofoten.
An Bord gibt es frische Waffeln mit Marmelade. Und der beste Platz, sie zu genießen, ist an Deck. In eine kuschelige Decke gehüllt, die Mütze in die Stirn gezogen schmeckt die typisch norwegische Süßigkeit und die frische, klare Seeluft. Die mitgebrachte Reiselektüre liegt seit Tagen unangetastet in der Kabine, denn obwohl, abgesehen von ein paar Landgängen, nichts passiert, bleibt keine Zeit zum Lesen. Schließlich gibt es so viel zu sehen. Auf die großen Attraktionen wie Polarkreis, "Torghatten", den Berg mit dem Loch, die Bergkette der "Sieben Schwestern", den beeindruckenden Trollfjörd oder die moderne Eismeerkathedrale in Tromsø macht Rei-seleiter Egbert Pijfers per Bordlautsprecher aufmerksam. Viele kleine entdeckt der aufmerksame Betrachter dazwischen. Leuchtend rote Häuschen inmitten unendlicher Einsamkeit, elegante Brücken auf elend langen Stelzenbeinen, die vorgelagerte Inseln mit dem Festland verbinden und manchmal auch Delfine, die in gebührendem Abstand das Postschiff flankieren. Selbst wenn es dunkel ist, ist das Aussichtsdeck gut besucht, denn dann spannt sich ein funkelnder Sternenhimmel über die Fjorde.
"Gegen das Nordlicht ist das freilich nichts", erklärt Egbert Pijfers seinen staunenden Gästen. Abstrakte Gebilde in grün, gelb, rot und violett jagen über den Himmel wenn Sonnenstrahlen die Atome der hohen Erdatmosphäre zum Leuchten bringen. In kalten Winternächten ist das Schauspiel am beeindruckendsten aber selbst tagsüber kann man in der Gegend um den Polarkreis "Aurora Borealis", wie es in der Fachwelt heißt, beobachten. Wer zur falschen Jahreszeit reist, dem vermittelt zumindest die Vorführung im Rundumkino im Polaria in Tromsø einen Eindruck des Phänomens und hinterläßt die Sehnsucht, zum Nordlicht noch einmal zu kommen.

 
 
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