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Barcelona
“¡Olé” ruft der junge Mann mit der blonden Stoppelfrisur aus tiefster Brust. “¡Olé” stimmen 90 gut gekleidete Festgäste im Gartenrestaurant an der Olympia-Regattastrecke in Barcelonas Vorort Castelldefels mit ein.

Ihr “Bravo” gilt dem Paar, dessen Silberhochzeit sie hier mit einem mehrstündigen Festmahl feiern.
Dem kleinen rothaarigen Katalanen, den man sich ein paar Jahre jünger gut als eleganten Torero vorstellen könnte. Und der großen, gestandenen Bayerin, die vor 30Jahren zum Spanisch lernen hierher kam.

“Einen Monat wollte ich hier verbringen. Jetzt ist es schon mehr als die Hälfte meines Lebens”, sinniert die Jubilarin, die nach ihrem Sprachunterricht nicht nur ein Spanisch-Diplom ablegte, sondern auch noch Medizin studierte und als Ärztin praktiziert. Den Grund liefert sie gleich mit: “Das war die `Fuente de Canaletas´.” Wer
aus diesem unscheinbaren Brunnen am oberen Ende der Rambla zu viel trinkt, der bleibt, besagt der Volksmund und stellt nicht ohne Schadenfreude fest, dass die Japaner das, Gott sei Dank, noch nicht wüssten. Barcelona ist beliebt bei den Gästen aus dem Land der Aufgehenden Sonne und entsprechend zahlreich trifft man sie an
den Stätten, die ein Barcelona-Reisender gesehen haben muss:

Bei den schnatternden Gänsen im gotischen Kreuzgang der Kathedrale, an der Kolumbus-Statue am Hafen und natürlich in der unvollendeten “Gaudí-Kirche”, deren Korpus zum größten Teil aus Kränen besteht. Böse Zungen behaupten, sie gehöre ohnehin schon den Japanern, denn es sind die Touristen, die mit ihren satten
Eintrittsgeldern die Fortführung der Kirche finanzieren. 200 Jahre Bauzeit hatte Antoni Gaudí veranschlagt, als er das Projekt 1883 übernahm. Einen gültigen Gesamtentwurf gibt es nicht, denn die kommenden Generationen sollten nach seiner Auffassung ein Mitspracherecht am endgültigen Aussehen des Mammutbauwerks haben. Und
während unter Verantwortlichen und Kritikern eine heftige Diskussion ausgebrochen ist, in welchem Stil weiter gebaut werden soll, kraxeln die Touristen wie Ameisen durch die verschlungene Turmfamilie. Besonders spannend – vorausgesetzt man ist nicht von Höhenangst geplagt – ist der Abstieg über die schmalen Wendeltreppen, die mit ihren Schießscharten-gleichen Fensterchen einen uneingeschränkten Blick nach unten freigeben.

Nahezu alles, was den Stempel Gaudí trägt, ist ein Besuchermagnet in Barcelona. Natürlich auch der Parc Güell, der ursprünglich als Wohnanlage im Stil einer Gartenstadt geplant war; nach englischem Vorbild aber voll katalanischer Phantasie. Wohnparzellen, Gartenanlagen und Gemeinschaftseinrichtungen sollten auf dem 15 Hektar großen Gelände hoch über der Stadt ihren Platz finden. Allein es fanden sich kaum Käufer, so dass das Gelände zum öffentlichen Park wurde. Die Schulkinder, die ziwschen den windschiefen Säulen der Markthalle Versteck spielen und in den mosaikverzierten Kaskaden nach Münzen fischen, ahnen nicht, dass dies einst Regenwasser-Zisternen waren und Teil eines ausgetüftelten Systems.

Nur ein paar Schritte weiter wird es ruhig. Quasi über den Hintereingang kommen die Katalanen hier herauf, lassen sich nicht die von Andenkenläden gesäumten Touristenpfade leiten, sondern fahren ganz gemütlich mit der Rolltreppe den steilen Hügel hinauf. Das Stimmengewirr aus dem Park mit der bunt glitzernden Schlangenbank hört man hier am Aussichtspunkt nur gedämpft. Angesichts der Aussicht nimmt man es ohnehin nicht wirklich wahr. Auf der “Muntanya pelada” liegt einem Barcelona zu Füssen: Die Ramblas, die man am dichten Grün der alten Bäume erkennt, das silbern glitzernde Meer, das Barcelona schon früh zu seiner Bedeutung verhalf, die neuen Hafenanlagen und, wie ein Rahmen um die Stadt, der Montjuïc mit den Olympischen Sportanlagen von 1992 und der Tibidabo mit seinem Riesenrad an höchster Stelle.

Dort unten ist das “Barri Gòtic” erklärt die bayerische Spanierin, und beweist schon wenig später, dass es selbst in einem populären Viertel wie diesem verschwiegene Ecken gibt. In den verwinkelten Gassen, die kaum breiter als zwei Fußgänger sind, ist auch der Poet zu Hause. Wie der zahnlose alte Mann mit den Lachfalten um die blitzenden Augen wirklich heisst, weiß man nicht so genau. Wohl aber, dass seine Leidenschaft der Poesie gehört und er als junger Dichter durchaus bereit war, für eine “Bocadillo”, eine belegte Weißbrotstange, ein persönliches Gedicht zu schreiben. Die Huldigung der Jubilare ist entsprechend umfangreicher. 25 spanisch-bayerische Ehejahre wollen im Versmaß aufgearbeitet sein.

Die bayerische Spanierin Dr. Heidi Schuler ist Praktische Ärztin und Homöopathin in Barcelonas Vorort Castelldefels, Avda. de la Constitución 113, Fon/Fax 0034/93/6650899.

 
 
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